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Die Weltbühne

  • Kurt Tucholsky, Gebet nach dem Schlachten

    Gebet nach dem Schlachten

     

    Kopf ab zum Gebet!

    Herrgott! Wir alten vermoderten Knochen

    sind aus den Kalkgräbern noch einmal hervorgekrochen.

    Wir treten zum Beten vor dich und bleiben nicht stumm.

    Und fragen dich, Gott:

    Warum-?

    Warum haben wir unser rotes Herzblut dahingegeben?

    Bei unserm Kaiser blieben alle sechs am Leben.

    Wir haben einmal geglaubt...Wir waren schön dumm...!

    Uns haben sie besoffen gemacht...

    Warum-?

    Einer hat noch sechs Monate im Lazarett geschrien.

    Erst das Dörrgemüse und zwei Stabsärzte erledigten ihn.

    Einer wurde blind und nahm heimlich Opium.

    Drei von uns haben zusammen nur einen Arm...

    Warum-?

    Wir haben Glauben, Krieg, Leben und alles verloren.

    Uns trieben sie hinein wie im Kino die Gladiatoren.

    Wir hatten das allerbeste Publikum.

    Das starb aber nicht mit...

    Warum-? Warum-?

    Herrgott!

    Wenn du wirklich der bist, als den wir dich lernten:

    Steig herunter von deinem Himmel, dem besternten!

    Fahr hernieder oder schick deinen Sohn!

    Reiß ab die Fahnen, die Helme, die Ordensdekoration!

    Verkünde den Staaten der Erde, wie wir gelitten,

    wie uns Hunger, Läuse, Schrapnells und Lügen den

    Leib zerschnitten!

    Feldprediger haben uns in deinem Namen zu Grabe getragen.

    Erkläre, dass sie gelogen haben! Lässt du dir das sagen?

    Jag uns zurück in unsre Gräber, aber antworte zuvor!

    Soweit wir das noch können, knien wir vor dir – aber leih uns dein Ohr!

    Wenn unser Sterben nicht völlig sinnlos war,

    verhüte wie 1914 ein Jahr!

    Sag es den Menschen! Treib sie zur Desertion!

    Wir stehen vor dir: Ein Totenbataillon.

    Dies blieb uns: Zu dir kommen und beten!

    Wegtreten!

     

     

    Theobald Tiger, Die Weltbühne, 07.08.1924, Nr. 32

  • Kurt Tucholsky: Der Mensch

    Kurt Tucholsky - Der Mensch

    Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenns ihm gut geht, und eine, wenns ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.

    Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.

    Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle.

    Der Mensch ist ein nützliches Lebewesen, weil er dazu dient, durch den Soldatentod Petroleumaktien in die Höhe zu treiben, durch den Bergmannstod den Profit der Grubenherren zu erhöhen, sowie auch Kultur, Kunst und Wissenschaft.

    Der Mensch hat neben dem Trieb der Fortpflanzung und dem, zu essen und zu trinken, zwei Leidenschaften: Krach zu machen und nicht zuzuhören. Man könnte den Menschen gradezu als ein Wesen definieren, das nie zuhört. Wenn er weise ist, tut er damit recht: denn Gescheites bekommt er nur selten zu hören. Sehr gern hören Menschen: Versprechungen, Schmeicheleien, Anerkennungen und Komplimente. Bei Schmeicheleien empfiehlt es sich, immer drei Nummern gröber zu verfahren als man es grade noch für möglich hält.

    Der Mensch gönnt seiner Gattung nichts, daher hat er die Gesetze erfunden. Er darf nicht, also sollen die andern auch nicht.

    Um sich auf einen Menschen zu verlassen, tut man gut, sich auf ihn zu setzen; man ist dann wenigstens für diese Zeit sicher, dass er nicht davonläuft. Manche verlassen sich auch auf den Charakter.

    Der Mensch zerfällt in zwei Teile:

    In einen männlichen, der nicht denken will, und in einen weiblichen, der nicht denken kann. Beide haben sogenannte Gefühle: man ruft diese am sichersten dadurch hervor, dass man gewisse Nervenpunkte des Organismus in Funktion setzt. In diesen Fällen sondern manche Menschen Lyrik ab.

    Der Mensch ist ein pflanzen- und fleischfressendes Wesen; auf Nordpolfahrten frißt er hier und da auch Exemplare seiner eigenen Gattung; doch wird das durch den Faschismus wieder ausgeglichen.

    Der Mensch ist ein politisches Geschöpf, das am liebsten zu Klumpen geballt sein Leben verbringt. Jeder Klumpen haßt die andern Klumpen, weil sie die andern sind, und haßt die eignen, weil sie die eignen sind. Den letzteren Haß nennt man Patriotismus.

    Jeder Mensch hat eine Leber, eine Milz, eine Lunge und eine Fahne; sämtliche vier Organe sind lebenswichtig. Es soll Menschen ohne Leber, ohne Milz und mit halber Lunge geben; Menschen ohne Fahne gibt es nicht.

    Schwache Fortpflanzungstätigkeit facht der Mensch gern an, und dazu hat er mancherlei Mittel: den Stierkampf, das Verbrechen, den Sport und die Gerichtspflege.

    Menschen miteinander gibt es nicht. Es gibt nur Menschen, die herrschen, und solche, die beherrscht werden. Doch hat noch niemand sich selber beherrscht; weil der opponierende Sklave immer mächtiger ist als der regierungssüchtige Herr. Jeder Mensch ist sich selber unterlegen.

    Wenn der Mensch fühlt, dass er nicht mehr hinten hoch kann, wird er fromm und weise; er verzichtet dann auf die sauern Trauben der Welt. Dieses nennt man innere Einkehr. Die verschiedenen Altersstufen des Menschen halten einander für verschiedne Rassen: Alte haben gewöhnlich vergessen, dass sie jung gewesen sind, oder sie vergessen, dass sie alt sind, und Junge begreifen nie, dass sie alt werden können.

    Der Mensch möchte nicht gern sterben, weil er nicht weiß, was dann kommt. Bildet er sich ein, es zu wissen, dann möchte er es auch nicht gern; weil er das Alte noch ein wenig mitmachen will. Ein wenig heißt hier: ewig.

    Im übrigen ist der Mensch ein Lebewesen, das klopft, schlechte Musik macht und seinen Hund bellen läßt. Manchmal gibt er auch Ruhe, aber dann ist er tot.

    Neben den Menschen gibt es noch Sachsen und Amerikaner, aber die haben wir noch nicht gehabt und bekommen Zoologie erst in der nächsten Klasse.

     

    Kaspar Hauser
    Die Weltbühne, 16.06.1931, Nr. 24
  • Umschlag der Weltbühne vom 12. März 1929

     

    Umschlag der Weltbühne vom 12. März 1929

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