Georg Herwegh

 

Georg Herwegh 300geb. 31. Mai 1817 bei Stuttgart, †  7. April 1875 in Baden-Baden
war Poet, Dichter, Salon-Revolutionär, Vordenker, Shakespeare-Übersetzer und ein Mensch, der selten lachte.

Georgs Vater Ludwig Herwegh war ein aus Baden eingewanderter Gastwirt.
Seine Mutter Rosina Märklin stammte aus einer schwäbischen Apothekerfamilie.
Die Ehe war nicht glücklich. Ludwig und Rosina stritten sich oft, heftig und rau.

 

 

Mit elf Jahren kam er zu seiner Großmutter nach Balingen, konnte auf Betreiben seiner Mutter die Lateinschule besuchen und als Vorbereitung zur Aufnahme in Maulbronn ein staatliches Examen ablegen.
Dann wurde er krank.


Ein angehender Mediziner promovierte über den Fall „Geschichte eines St. Veits-Tanzes (1) welcher mit dem thierischen Magnetismus (2)  behandelt und zum Theil geheilt wurde“.

Georg war vierzehn Jahre alt, als sich seine Eltern trennten und er in das Maulbronner Seminar aufgenommen wurde. (3)

Mit Achtzehn verließ er Maulbronn um in Tübingen zu studieren.
Von dem theologischen Studium unbefriedigt, und unter den kasernenartigen Verhältnissen des Stifts leidend, geriet er nach mehreren „unehrerbietigen Äußerungen“ zunehmend in den Fokus der Verwaltung. (4)

An einem lauen Sommerabend des Jahres 1836  kam Georg fröhlich angetrunken, aber leider viel zu spät aus dem Wirtshaus zurück ins Stift.  Er war sehr impulsiv, beleidigte die Wache und zwei ältere Studenten, wanderte in den Karzer und wurde aus dem Stift entlassen.

Georg zog wieder nach Stuttgart, arbeitete bei August Lewald in dessen Zeitschrift „Europa“ mit. Lewald beschreibt ihn als einen „in sich gekehrten, bei Diskussionen schroffen poetischen Geist“.

Georg wird zum Militärdienst eingezogen. Er sieht seine reale Situation nicht, beleidigt einen Unteroffizier und aus einer durch Lewalds Beziehungen eingefädelten möglichen „Beurlaubung“ wird dank Georgs Ego eine vierwöchige Kasernenhaft.

Nach verbüßter Haft musste er sein Geld als Übersetzter (Lamartine) verdienen.
Und als er dann doch wieder auf einen Maskenball ging, warf ihn ein gräflicher Oberstleutnant nach „frechem Benehmen“ hinaus und erstatte Anzeige. Ihm drohte die (Zwangs) Einberufung auf „unbestimmte Zeit, zur besseren Bekanntmachung der Disziplin und Subordination“.

Im Sommer 1839 floh er mit Hilfe seines Freundes Dietzel auf dem „Schwabenweg“ in die Schweiz zu Heinrich Elsner („Leuchtturm“-Herausgeber in Thurgau).

Auch in der Schweiz, aber in Zürich und Winterthur, wurde 1841 das „Literarische Comptoir“ gegründet und Julius Fröbel verlegte als erstes Werk Georg Herweghs  „Gedichte eines Lebendigen“. (5)

Das Buch wurde ein Bestseller.

Herwegh wurde ins Rampenlicht katapultiert, seine Gedichte trafen den Nerv der Zeit.

Seinem Gnadengesuch wurde stattgegeben (gegen ihn bestand immer noch ein Haftbefehl wegen Fahnenflucht).
Nun konnte er wieder in die deutschen Länder reisen.
Es wurde ein Triumphzug des Weltbürgers, des ehernen Sängers, von Mainz nach Köln (dort lernte er K. Marx kennen) bei Fackelzügen und Banketten, über Leipzig, wo sie unterm Balkon seine Gedichte rezitierten und ihn mit einem Lorbeerkranz schmückten. In Dresden lernte er Arnold Ruge kennen, der ihn wiederum mit Bakunin und Turgenjew bekannt machte. Dann reiste er nach Berlin.

Hier fieberte bereits Emma, die selbstbewusste Tochter des sehr vermögenden Seidenwaren- und Modehaus-Besitzers Siegmund, im gleichen Monat und Jahr wie Georg geboren, seiner von ihr arrangierten Ankunft entgegen.
Georg kannte Emma nicht, aber Emma hatte sich schon bei der Lektüre der „Gedichte eines Lebendigen“ in ihren Poeten verliebt.
Jetzt stand er vor ihr.
Acht Tage später verlobten sie sich.

Dann Herweghs Audienz beim preußischen König.
Stumm und ehrfurchtsvoll blieb er wohl, und „machte seinen Diener“ (Heine).
Erst im nach hinein rechtfertigte er sich mit seinem „Wort unter vier Augen“. Als dieses Schreiben (angeblich durch Indiskretion) veröffentlicht wurde, musste Herwegh Preußen innerhalb eines Tages verlassen, trennte sich von seiner Verlobten und reiste in die Schweiz, wo er sich die Bürgerrechte im Kanton Baselland kaufte.

Dort heirateten Georg und Emma am 8. März 1843.
Emma war eine schöne, temperamentvolle, intelligente Frau und eine gute Partie. (6).

Die Hochzeitsreise führte über Frankreich nach Italien. Mit dem Schiff dann nach Neapel, für sieben Wochen. Sie zogen nach Paris, ans Seineufer. Das Ehepaar Marx und Ruge wohnten um die Ecke.

Georg schrieb für den „Vorwärts!“, eine kritische Zeitung, die bald wegen „politischer Beiträge“ verboten wurde.

Er hatte ein Verhältnis mit Marie Comtesse d’Agoult. Über sie lernte er Liszt kennen, der einige seiner Gedichte vertonte, u.a. das „Rheinweinlied“(7).

Die Herweghs zog es, mit ihren Freunden Carl Vogt und Michail Bakunin ans Meer, nach St. Malo, nach Nizza.
Sie fieberten der Revolution entgegen.
Die ließ auf sich warten. So hatte man Zeit und Muße, Georg widmete sich der Meeresbiologie (8).

Dann kam sie doch, die Revolution.
Der französische König floh nach England.
Auf der anderen Rheinseite forderten Hecker und Struve die deutsche Republik.

In Paris sammelten sich die deutschen Handwerker in der Deutschen demokratischen Gesellschaft und Herwegh schrieb an Hecker, nannte 5.000 Mann, die „binnen acht Tagen an der Grenze stehen können.“ (9).

Nach einigem Exerzieren, vielen Hurra-Rufen und endlosen Reden, zog schließlich ein bunter Haufen von etwa 700 Mann nach Straßburg.

In Konstanz rief Hecker die Republik aus, zog gen Norden nach Engen.
Die unerschrockene Emma Herwegh suchte ihn dort auf und bot Hilfe an.

Am Ostermontag 1848 überquerten ein Poet, der kein Stratege war,
dessen Frau, die sich vor nichts fürchtete, außer dass ihrem Georg ein Leid geschehen könnte,
ein paar charakterstarke Kommandeure
und ungefähr 600 Mann, die 200 Gewehre hatten (der Rest nur Sensen),
den Rhein,
um im Vaterland „der Freiheit eine Gasse zu brechen“.

Es war eine Sackgasse.
Das Großherzogtum Baden hatte, zusammen mit Hessen, Bayern und Württemberg mehr als 30.000 Soldaten gegen die Aufständischen aufgeboten.
Hecker und Struve waren bereits geschlagen, die Herwegh’sche Schar konnte nur noch versuchen in die Schweiz zu entkommen.

Der Tross kam bis Dossenbach (also fast bis Rheinfelden). Eine württembergische Kompanie stellte und besiegte die Freischärler. Emma und Georg entkamen (10).

Monate später waren sie wieder in Paris.

 

 Zu Frankfurt an dem Main
Die Wäsche wird nicht rein;
Sie bürsten und sie bürsten,
die Fürsten bleiben Fürsten
Die Mohren bleiben Mohren
Trotz aller Professoren
Im Parla – Parla – Parlament
Das Reden nimmt kein End’!

 

In Wien machte Fürst zu Windisch-Graetz mit den Revolutionären kurzen Prozess. 2.000 Menschen starben. Der Abgeordnete Robert Blum wurde, trotz seiner Immunität als Abgeordneter, erschossen.

Georg zog sich zurück. Alle Politik sei Schund, nur die Naturwissenschaft sei wahr.

Wahr war auch Georgs Liaison mit Natalie Herzen (11). Aus dem Karneval der freien Liebe wurde eine Tragödie (12).

Zwischen Herwegh und Wagner entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Mit Liszt zusammen, schwärmten sie von großen gemeinsamen musikalischen Werken.

 

Einige Jahre später wurde Georg in die Führung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins berufen und nach Drängen Lassalles verfasste er sein berühmtes Bundeslied:

Menschenbienen, die Natur,
Gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.

 

 

 Die finanzielle Situation der Herweghs verschlechterte sich.
Georg musste auch seine Bibliothek verkaufen und floh vor den Gläubigern aus Zürich.
Er ließ sich in Baden-Baden (Sophienstraße) nieder. Im Oktober 1866 kam Emma mit den zwei Kindern (Ada und Marcel) nach.
Die Familie zog nach Lichtental.
Georg übersetzte Shakespeare.

Was kein freier, deutscher Patriot sich vorgestellt hatte: nicht die Revolutionäre schufen mit dem Volk „von unten“ ein Deutschland, sondern Bismarck tat dies, mit „Blut und Eisen“, „von oben“ - wie er es angekündigt hatte.

Georg war entsetzt.


„Germania mir graut vor dir! Mir graut vor dir, ich glaube fast, daß du, in argen Wahn versunken, mit falscher Größe suchst zu punkten, und daß du, gottesgnadentrunken, das Menschenrecht vergessen hast“.

 

Wo waren alle seine Freunde? Tot, ausgewandert, auf der anderen Seite?
Er hatte nur noch wenige, z.B. Carl Dernfeld (Architekt der Kirche St. Bonifatius in Lichtental und des neuen Friedrichsbades).

Um Georg wurde es einsam.
Im Alter von 58 Jahren starb er im April des Jahres 1875 an einer Lungenentzündung.

Emma bestattete ihren geliebten Georg in der Schweiz, im Kanton Baselland in „freier republikanischer Erde“.

Sein Wunsch, nach dem erhofften Zusammenbruch „Germaniens“ auf seinem Grabstein die Zeilen „Getrost mein Vater, Preußen ist nicht mehr!“ hinzuzufügen, wurde nicht erfüllt.

 

Die Fragen sind erledigt,
Die Pfaffen machen bim bam bum;
Den Armen wird gepredigt
Das Evangelium.


(1) Georg erkrankte wahrscheinlich an der Autoimmunkrankheit Chorea, die wie   Parkinson, durch einen Zerfall der Basalganglien eingeleitet wird.

Demgegenüber war der Veitstanz ein mittelalterliches Massenphänomen in Europa.
„Die Menschen tanzten ......... mit vielerlei Verrenkung, ......bis sie zur Erde fielen.“
Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges werden die Berichte über die „Tanzwut“ spärlicher.

(2) 1780 entdeckte Luigi Galvani bei Induktionsversuchen mittels Lichtbogenentladungen den Einfluss elektrischer Ströme auf Muskelgewebe bei Fröschen. Verschiedene Metalle und natürliche Magnete galten alsbald als Stoffe mit großer, positiver Wirkung auf den menschlichen Organismus (Mesmerismus).

(3) Dazu musste Georg eine Prüfung in Latein, Griechisch und Hebräisch ablegen.  

(4) Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse sorgte für ein Klima der Angst. Verbote und Verordnungen bestimmten auch das studentische Leben von Georg.
Im Stift gab eine strikte Kleiderordnung, der Alltag war minutiös vorgegeben.
Studentische Organisationen waren verboten. Einrichtungen, wie Turnvereine, aber auch Gartenvereine, waren verboten. Die inländische Presse wurde scharf zensiert, Publikationen aus dem Ausland unterbunden.

(5) Ein Gedichtband voller Klischees, aber auch Hoffnung mit martialischem, aber auch geflügeltem Vokabular, Zitate: „Reißt die Kreuze aus der Erden! Alle sollen Schwerter werden“, „Voran zum heiligen Krieg“, oder „Und durch Europa brechen wir der Freiheit eine Gasse“, aber auch „O wag’ es doch, nur Einen Tag, Nur Einen, frei zu sein“.
Heinrich Heine, der Georg Herwegh als „eiserne Lerche“ bezeichnete (in einem Gedicht, was er zu Lebzeiten nicht veröffentlichte), war gegen diesen „Wartburger Spuk“.

(6) Herwegh, der noch zwei Jahre zuvor um Schuhe betteln musste, erhielt jetzt als Vorschuss auf Emmas Mitgift 20.000 Francs pro Jahr. Ausserdem verdiente er durch die Einnahmen seines Bestsellers anfangs gut.
20.000 Francs entsprachen damals (1850) ungefähr 6.000 Taler.
Der Wochenlohn eines Webers betrug 3 Taler und 3 Silbergroschen.

 

(7) Rheinweinlied:

Wo solch ein Feuer noch gedeiht,
Und solch ein Wein noch Flammen speit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben.
Stoßt an! Stoßt an! Der Rhein,
Und wär’s nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben.

Der ist sein Rebenblut nicht wert,
das deutsche Weib, den deutschen Herd,
Der nicht auch freudig schwingt sein Schwert,
Die Feinde aufzureiben.
Frisch in die Schlacht hinein!
Hinein für unsern Rhein!
Der Rhein soll deutsch verbleiben.

 

(8) Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Naturwissenschaften (und die Industrialisierung) in einem atemberaubenden Tempo. Physik, Chemie und Biologie wurden eigenständige Wissenschaften. Es war chic, biologische Studien und Versuche durchzuführen, man suchte das „Lebensprinzip“ zu ergründen.

(9) In Paris lebten um diese Zeit ca. 50.000 deutsche Handwerker. Im Frühjahr 1848 wurden viele arbeitslos. Vor allem Bornstedt organisierte die Legion, sammelte Geld und Waffen. Herwegh wurde zum Präsidenten der Liga ausgerufen.

(10) Die Umstände der Flucht, Georg soll sich im Spritzleder (das ist ein Lederschutz an der Seite von Kutschen und Wagen) versteckt haben, führte zu Spottgedichten, „....Heiß fiel es dem Herwegh bei, Daß der Hinweg besser sei...“.

(11) Natalie Herzen, war die zarte, feine, intelligente Ehefrau von Alexander Herzen, einem adligen Schriftsteller, Publizist und Spross einer reichen russischen Familie. Alexanders Eltern heirateten nicht, er war ein Herzenskind und hieß deshalb Herzen.

(12) Nach einigem Hin und Her zogen die beiden Paare nach Nizza in ein von Herzen angemietetes Haus.
Die Herweghs waren nahezu pleite. Emma nahm bei Alexander Herzen einen Kredit über 10.000 Francs auf.
Die Tragödie begann.
Große Emotionen, angedrohte Abreisen, Georg flehte Alexander Herzen (über Emma) an, ihm das Leben zu nehmen, Natalie forderte dies von von Georg und Emma bot Alexander an, bei ihm zu bleiben, wenn er Natalie freigäbe.
Emma trennte sich von Georg, er zog nach Zürich und schrieb weiter seine Liebes-und Rechtfertigungsbriefe an Natalie. Alexander und Natalie versöhnten sich.
Er schrieb, beleidigend an Alexander. Den Antwortbrief von Natalie schickte er zurück, vertuschte dabei ungeschickt, dass er ihn gelesen hatte.
Natalie starb nach einer Totgeburt.
Zwei alte Freunde Alexanders (Haugh und Tessié) suchten Herwegh in dessen Hotel auf. Herwegh leugnete, wurde von Haug geohrfeigt und zum Duell aufgefordert. Herwegh kniff.
Georg und Emma versöhnten sich und zogen wieder zusammen.

 

Literatur:
Ulrich Enzensberger, Herwegh Ein Heldenleben, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, 1999
Ein wunderbares Buch, aus dem die meisten Zitate dieses Beitrags stammen.

Einundzwanzig Bogen aus der Schweiz, Herausgeber G.Herwegh, BiblioLife

 

Bildnachweis:
Georg Herwegh, gezeichnet von Emma Siegmund 1842, Herwegh Archiv, Dichtermuseum Liestal

Museen:
Dichtermuseum Liestal, Baselland



Revolutionslied ça ira

 

 

 

 

 

   Emma Herwegh

Biografie von Emma Herwegh

 

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